Auch die letzte Veranstaltung des Forums Unternehmensrecht des Jahres 2002, die am 05.12.02 im großen Vortragsraum der Universitäts- und Landesbibliothek der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf statt fand, stieß in der Düsseldorfer Anwaltschaft auf reges Interesse. Das sachkundige Publikum bestand sowohl aus Teilnehmern, die in den letzten 11 Monaten erste eigene praktische Erfahrungen mit der Anwendung des WpÜG gemacht haben, als auch aus Teilnehmern, die sich wissenschaftlich mit dem WpÜG auseinandersetzen, allen voran der Leiter des Forums Unternehmensrecht, Prof. Dr. Ulrich Noack, der an einer Kommentierung zum WpÜG arbeitet und dabei tatkräftig von seinen Mitarbeitern unterstützt wird.
Auch diesmal gliederte sich der Abend in zwei Komplexe. Zunächst berichtete der gerade aus Brüssel kommende Klaus-Heiner Lehne, Mitglied des Europäischen Parlaments in Straßburg, über die aktuellen europäischen übernahmerechtlichen Entwicklungen. Herr Lehne ist Parlamentsberichterstatter des Rechtsausschusses zur EU-Richtlinie und Koordinator der Mehrheitsfraktion.
Im zweiten Teil schilderte Prof. Dr. Gerd Krieger, Partner von HengelerMueller Düsseldorf seinen praktischen Erfahrungen mit dem WpÜG, welches seit nunmehr 11 Monaten in Kraft ist. Prof. Dr. Krieger begleitete als Berichterstatter des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins die Entstehung des WpÜG.
Herr Lehne gab in seinem sehr informativen Vortrag zunächst einen kurzen Überblick über die inzwischen sehr lange Geschichte der Übernahmerichtlinie. Als Hauptgrund für deren Scheitern im Juni letzten Jahres nannte er das Fehlen eines „level playing field“. Die Europäische Kommission setzte daraufhin eine Expertengruppe unter Leitung des niederländischen Professors Jaap Winter ein, welche Anfang diesen Jahres ihren Bericht vorlegte. Kernpunkt ist die Erkenntnis der Notwendigkeit der Herstellung der Waffengleichheit in Europa. Wesentlicher Vorschlag der Expertengruppe zur Erreichung dieses Ziels ist vor allem die sog. „Durchbruchsregel“.
Am 02.10. legte die Europäische Kommission einen neuen Richtlinienvorschlag zur Regelung von Unternehmensübernahmen vor, welcher zum Teil die Vorschläge der Winter-Gruppe umsetzt. Entsprechend den Empfehlungen der Expertengruppe enthält der Richtlinienvorschlag das Ausschuss- und das Andienungsrecht (Squeeze-out, Sell-out), sowie eine Definition des im Rahmen eines Pflichtangebots zu zahlenden angemessenen Preises. Herr Lehne berichtete, dass erste Diskussionen im Rat und Parlament stattgefunden haben. Er wies darauf hin, dass er selbst am 22.11. ein Arbeitsdokument vorgelegt hat. Die Kernfrage ist die, ob die Vorschläge der Kommission zur Erreichung einheitlicher Rahmenbedingungen ausreichen. Umstritten ist insbesondere der Punkt, dass die Durchbruchsregelung nach dem Kommissionsvorschlag nicht auf die Mehrfachstimmrechte ausgedehnt ist. Lehne selbst hält es für sachgerecht, die Mehrfachstimmrechte in die Durchbruchregel aufzunehmen. Als Kompensation diene das vorgesehene „Sell-Out-Right“.
In gleicher Weise befürwortet er die Einbeziehung vertragliche Regelungen in die Durchbruchsregel.
Anschließend sprach Lehne das Verhältnis Europa – USA an. Nach wie vor sei die Übernahme eines amerikanischen Unternehmens schwerer als umgekehrt. Er zog in Erwägung, auch in Europa – ähnlich wie in den USA - ein Vetorecht einzuführen.
Kurz setzte er sich auch mit dem umstrittenen Verweis auf das Lamfalussy-Verfahren auseinander. Lehne spricht sich gegen dieses Verfahren aus, denn das Gesellschaftsrecht sei durch Gesetze und nicht durch Verordnungen zu regeln.
Lehne ist davon überzeugt, dass diesmal die Richtlinie nicht scheitern wird und spätestens unter italienischer Präsidentschaft ein Ergebnis erzielt wird. Hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs könne es durchaus möglich sein, dass sich Rat uns Parlament so frühzeitig einigen, dass bereits eine im April oder Mai stattfindende 1. Lesung abschließend sein kann und der Rat dann nur noch dem Beschluss des Parlaments zustimmen muss. Es sei davon auszugehen, dass die Umsetzungsfrist und auch die Übergangsfrist großzügig lang bemessen würden.
Prof. Dr. Krieger gab einen sehr interessanten Überblick über seine bisherigen Erfahrungen mit dem WpÜG. Zunächst sprach er die Anwendbarkeit des WpÜG an. „Altfälle“ seien aus dem WpÜG ausgenommen. Die in der Literatur vielfach kontrovers diskutierte Frage, ob auch beim Rückerwerb eigener Aktien ein Angebot nach dem WpÜG zu machen sei, spiele in der Praxis allenfalls einen untergeordnete Rolle, weil der Kauf über die Börse und nur selten durch ein öffentliches Angebot erfolge.
Des Weiteren sprach Krieger die „angemessene Gegenleistung“ (§ 31 WpÜG iVm §§ 4 – 6 WpÜG-Angebotsverordnung) in Zeiten sinkender Aktienkurse an. Krieger verwies darauf, dass die Preisregeln dem Schutz des Bieters und nicht der Aktionäre dienen.
Den Schwerpunkt seiner Ausführungen bildeten Überlegungen zum Pflichtangebot iSd §§ 35, 36, 37 WpÜG. So stellt sich vor allem in Verschmelzungsfällen die Frage der Notwendigkeit eines Pflichtangebots, wenn eine der Gesellschaften bereits kontrolliert ist. Das Verschmelzungsrecht hat keine eigenen Schutzmechanismen. Auch gilt es zu überlegen, ob ein Pflichtangebot erforderlich ist, wenn ein Wechsel in der „Qualität der Kontrolle“ stattfindet, etwa wenn eine unmittelbare Kontrolle zu einer mittelbaren Kontrolle oder eine gemeinsame Kontrolle zu einer alleinigen Kontrolle wird. Problematisch ist auch der Fall, dass sich die tatsächlichen Machtverhältnisse im Unternehmen ändern, in dem eine gemeinsame Kontrolle de facto zur alleinigen Kontrolle wird.
Schließlich sprach Krieger auch noch eine Verfahrensfrage an: Können Minderheitsaktionäre die Abgabe eines Pflichtangebots bei der BAFin erzwingen? Die BAFin sei der Ansicht, ein derartiger Antrag sei bereits unzulässig, während Krieger Art 14 GG anführt und darauf verweist, dass das Pflichtangebot dem Schutz der Aktionäre dient.
Die Diskussion war sowohl zwischen als auch nach den beiden Vorträgen sehr lebhaft. Neben eher politischen Fragen des Publikums - etwa zur Zusammenarbeit mit der Bundesregierung - wurden die Vorträge ergänzende Sachfragen angesprochen. Herr Oetker verwies beispielsweise auf das Stiftungsmodell der Niederlande, welches zur Abwehr gegen Übernahmen sehr effektiv sei. Diesbezüglich besteht Einigkeit darüber, dass die Niederlande nicht das „Delaware Europas“ werden sollen. Prof. Dr. Noack regte einen Meinungsaustausch über die Frage, ob auch bei einem Kontrollwechsel ein Pflichtangebot abzugeben sei, an. Als Tendenz zeichnete sich – u.a. aus Gründen der Rechtssicherheit - eine Bejahung der Angebotspflicht ab.
Das Schlusswort von Herrn Prof. Dr. Krieger eignet sich nicht nur als Fazit seines Vortrages: „Im Ergebnis sei nach wie vor vieles unklar.“ Er verwies auf einen Aufsatz von Liebscher in der ZIP, wonach die Rechtsprechung fehle, es noch keine gefestigte Verwaltungspraxis gebe und die Literatur noch nicht belastbar sei. Bleibt abzuwarten, wie es nach 22 Monaten WpÜG aussieht.
Bericht von Dr. Jutta Lommatzsch